von CARL CHRISTIAN JANCKE
Berlin, 11.06.2021. Der ICE hat mich von der Autobahn auf die Schiene gebracht. Wesentlich waren nicht nur die Züge Massgeblich war auch die Schnellbahnstrecke von Berlin nach Hannover. Trotzdem. Das Rad-Schiene-System, traditionell auch Eisenbahn genannt, stösst an das Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten. Wer Klimaschutz nicht als Lippenbekenntnis versteht, muss an die Magnetbahn denken.
Wenn ein Automobil 30 Jahre alt wird, erhält es das Recht aufs Altenteil. Das H auf dem Nummernschild dokumentiert die historische Bedeutung und erlaubt immerhin rund 600.000 Fahrzeugen die Einfahrt in die Umweltzone. Selbst wenn deren Fahrer viel lieber im Sommer bei schönen Wetter und kurvigen Straßen die Landschaft genießen. Und das auch nur im Sommer.

1992 – Reisende im Großraumabteil 1. Klasse eines Mittelwagens der Bauart Avmz 801 des InterCityExpress (ICE).
Der 1991 in den Dienst gestellte ICE 1 wurde vom Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker auf die Strecke in Kassel-Wilhelmshöhe geschickt. Der Kanzler hieß Helmut Kohl und wer einen Discman hatte, war up to date. Gerade hatte Mercedes mit dem W140 die Mega-S-Klasse vorgestellt, in der der Saumagen essende Bundeskanzler samt seines legendären Fahrers Eckhard Seeber problemlos Platz fand. Die deutsche Einheit war gerad knapp 2 Jahre her und kam recht überraschend, so dass die erste Generation des ICE für die Strecke Hamburg-München vorgesehen war. Man dachte noch in Süd-Nord und weniger in Richtung Ost-West-Dimensionen.

1991 – InterCityExpress 1 (ICE 1) Blick in einen Mittelwagen 2. Klasse der Bauart Bvmz 80 2
Immerhin wurde die Schnellbahnstrecke Berlin-Hannover über Stendal gerade noch von Helmut Kohl eingerichtet, wahrscheinlich zum Leidwesen seines Nachfolgers Gerhard Schröders. Der durfte dafür die von Kohl eingefädelte EXPO 2000 in seiner Heimatstadt eröffnen.
Als Berliner ist der ICE für mich so etwas wie ein zweites Wohnzimmer. Nachdem ich in den Siebzigern und frühen Achtzigern mit den Anachronismen der deutschen Bundesbahn gehadert hatte, fast schon ein versöhnliches Ereignis.

Zunächst konnte in den ersten Generationen Farbenblindheit helfen: Die Inneneinrichtung changierte in einer Symphonie aus Aubergine und Türkis. Da konnten nur die in der ersten Klasse eingebauten Flachbildschirme helfen, auf denen bordeigenes Film-Programm geboten wurde. In der zweiten gab es Radio-Programme, bei denen man wenigstens die Augen schließen konnte.

1998 gab es für die Passiegiere des ICE Konrad Röntgen ein böses Erwachen. Teile der Waggons zerschellten an einer Brücke im Niedersächsischen Eschede. 102 Menschen starben, übe 90 wurden schwer verletzt. Der Glaube an den Fortschritt war wieder einmal erschüttert.

Ich verfolgte die ersten Bilder auf CNN, kommentiert vom asiatischen News-Desk aus Hongkong, während der NDR keine Telefonverbindung vom Reporter ins Studio hin bekam.
Wer Zug fuhr, wie ich damals zwischen Berlin und Kiel, bekam die Folgen zu spüren. Die ICE Flotte wurde still gelegt oder durfte bestenfalls mit 160 km/h über die Schnellbahnstrecken schleicen. Als Passagier machte man wieder Bekanntheit mit dem alten Grün-Gelben Interieur der Siebziger Jahre Intercitys und/oder den stylisch dem Jugendstil nachempfundenen Bordbistros der mittlerweile abgeschafften Interregios.
Offensichtlich hat die Bahn aus der Katastrophe gelernt. Dererlei hat sich nicht wiederholt. Zum Glück. In den 2000ern fielen die ICEs der ersten Generation dann zunehmend durch Altersschwäche aus. Trotz Totalentkernung, neue Sitze und Steckdosen statt Kopfhörerbuchsen konnten die Passagiere unregelmässig mit stundenlangen Verspätungen rechnen. Im besten Fall ging nur die Kaffeemaschine aus.
Der Fairness halber muss ich aber feststellen. Vergleiche ich die Verspätungen der Züge mit den Wartezeiten auf den Flughäfen oder de vergeudeten Zeit im Stau auf der Autobahn, dann schneidet der ICE nicht soooo schlecht ab. Wer sich bewegt, muss mit Komplikationen rechnen.

1995 – Service im InterCityExpress (ICE 1)
Wer heute in den ICE 4 einsteigt, unterscheidet ihn von der ersten Variante allerhöchstens durch die räumliche Aufteilung, die hoffentlich funktionierenden Reservierungsanzeigen und das hoffentlich gelegentlich funktionierende W-Lan. Die drei Vorgängergenerationen sind im Zweifel vollständig entkernt und von jedem Anflug von Türkis befreit. Statt Kopfhörerbuchsen gibt es Steckdosen und mittlerweile sogar kostenloses W-Lan. Keine große Innovation, das gab es 2014 schon in der Edinburger Straßenbahn.

Auch wenn die jahrzehntelang gebaute Strecke von Berlin über Erfurt nach München ebenfalls die Fahrzeit erheblich verkürzt hat, muss man sich doch fragen, warum die technologische Entwicklung der Bahn so vor sich dahindümpelt Wären die Flughäfen Hamburg, Hannover, Stuttgart oder München wenigstens an das anachronistische Schnellbahnnetz verbunden, würden sich viele Inlandsflüge von selbst erübrigen.

Trotzdem erweist sich die Staatsbahn neben der deutschen Bürokratie und dem Planungsrecht die Innovation. Im Gegenteil. Die fälschlicherweise “Transrapid” genannte Magnetbahn feiert jetzt in China fröhliche Urständ. Tatsächlich liegt ihre grosse Chance darn, dass sie eine Kombination aus Nah- und Verkehrsmittel darstellt. Während ein ICE aufgrund der hohen Reibungsverluste ein paar Kilometer braucht, bis er entweder auf 250 km/h beschleunigt oder von dieser Geschwindigkeit abbremst, geht das mit der Magnetbahn ratz fatz über ein paar Meter. Und die Geschwindigkeit der Magnetbahn liegt dann nicht bei 250 oder 300 km/h, sondern bei 400 und mehr.
Kein Wunder, dass Ende der Neunziger die Staatsbahn mit der Unterstützung der Lufthansa, die um ihr “Luftpostdrehkreuz” fürchtete, der Magnetbahn den Garaus machte. Die hätte man über Nacht ja auch noch nutzen können, um Güter zu transportieren. Wer es nicht mehr weiss: Bei der Magnetbahn steckt der Antrieb in der Schiene. Das macht die Waggons preiswert.
Der ICE wird uns noch ein paar Jahrzehnte gute Dienste leisten. Dafür sorgt schon das Staatsmonopol der deutschen Bahn, das so allerdings die verpönten Inlandsflüge attraktiv hält.
Das bessere ist des guten Feind. Hätten wir nur eins der ins Auge gefassten Magnetbahnprojekte (Berlin-Hamburg, München- Erding (Flughafen), Dortmund-Bonn) realisiert, sähe es heute anders aus,
Wir brauchen endlich private Strukturen auch bei Infrastruktur-Projekten und natürlich beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren nicht nur für Diesel-getriebene Elektro-Autoprojekte.
Fotocredits: Deutsche Bahn, soweit nicht anders gekennzeichnet.
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